Indien ist dabei, große Staatsunternehmen zu privatisieren und viele Menschen fragen sich, welche Vor- und Nachteile dies mit sich bringen wird. Ein Blick nach Deutschland verrät, wer die Gewinner und Verlierer sein könnten.
Deutschland kann auf mehr als sechs Jahrzehnte Erfahrung bei der Privatisierung staatlicher Unternehmen zurückblicken. Bereits in den 1960er Jahren gingen Großkonzerne wie Volkswagen oder der Bergbau- und Stromkonzern VEBA teilweise in die Hände privater Aktionäre über. Damals wolle die Regierung aber nicht in erster Linie träge Staatskonzerne effizienter machen, meint Detlef Sack von der Bergischen Universität Wuppertal.
“Diese Privatisierungswelle in den 1960er Jahren wurde im Wesentlichen von der Idee getrieben, Teile staatlicher Unternehmen flächenmäßig an die breite Öffentlichkeit zu verkaufen”, erklärte der Politikwissenschaftler, der sich 2019 in einem Buch mit der Geschichte der Privatisierung in Deutschland und Europa auseinandersetzte. Die Idee war, die deutsche Bevölkerung stärker an den Aktienmarkt einzubinden. Die neuen Gesellschafter sollten aus allen Gesellschaftsschichten kommen und stärker an der sozialen Marktwirtschaft teilhaben.
Als die Deutsche Telekom 1996 erstmals an die Börse ging, wurden Anteile an dem Staatsunternehmen als “Volksanteile” vermarktet. Der damalige Telekom-Chef Ron Sommer versprach sogar, die Aktien seien “so sicher wie eine Zusatzrente” Doch nachdem die Technologieblase im Jahr 2000 platzte, lösten sich diese Versprechen völlig in Luft auf. “Auch hier gab es die Idee, Staatseigentum zu verkaufen, um die Bürger am gesamten Spektrum des materiellen Wohlstands teilhaben zu lassen”, sagte Sack.
Damals wurden Börsenankömmlinge häufig von Beratern ermutigt, Telekom-Aktien zu kaufen, ohne dass ihnen gesagt wurde, dass es nicht ausreiche, auf eine einzige Aktie zu setzen. Dass Anleger zur Risikobegrenzung auf eine ganze Reihe von Wertpapieren aus unterschiedlichen Branchen und Ländern setzen sollten, wurde im damaligen Börsenfieber allzu oft unterdrückt. Dies führte zu Verlusten, großer Frustration und viel verlorenem Vertrauen bei Hunderttausenden neuer Investoren.
Besser lief es dagegen für die Deutsche Post und ihre privaten Investoren. Das Unternehmen, das seit November 2000 teilweise privatisiert ist, hat mit seiner ursprünglich in den USA ansässigen Tochtergesellschaft DHL längst Stoßerprofite gemacht. Dort hat das Unternehmen vom Online-Shopping profitiert, indem es Pakete für Amazon und andere Online-Händler zustellte.
Ein weiterer Trend, der sich in den letzten 20 Jahren abzeichnen konnte, ist, dass institutionelle Investoren bei der Privatisierung staatlicher Unternehmen zunehmend in den Vordergrund getreten sind. “Die heutigen Privatisierungen werden im Wesentlichen von der Idee angetrieben, dass staatliche Unternehmen effizienter werden müssen. Die Investoren kommen von den Kapitalmärkten. Das ist eine ganz andere Begründung”, betonte Sack.
Die Erfahrungen mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen in Deutschland sind vielfältig. Vor allem, wenn es um Gewinner und Verlierer geht. Was die Verlierer betrifft, so seien vor allem viele Mitarbeiter bei den Privatisierungen der letzten 20 bis 30 Jahre auf der falschen Seite gewesen, sagte Sack. “Diejenigen, die zuvor in staatlichen Unternehmen beschäftigt waren, sind die Verlierer in diesem Prozess. Effizienzgewinne führten mittelfristig häufig zu Entlassungen und einem Beschäftigungsabbau.”
Der verstärkte Wettbewerb war der größte Faktor, insbesondere bei vielen privatisierten Staatsunternehmen in der ehemaligen sozialistischen DDR nach 1990. Sack glaubt, dass die Privatisierung einiger dieser Unternehmen ihren Untergang aufgrund des plötzlichen Wettbewerbsschocks, dem sie in einer Marktwirtschaft nach der Wiedervereinigung ausgesetzt waren, nicht verhindern konnte. “Plötzlich waren die Werften mit Wettbewerbsdruck von Werften in Südkorea und Taiwan konfrontiert, um ein Beispiel zu nennen”, sagte er. Auf der anderen Seite sieht Sack die Steuerzahler als indirekte Gewinner, denn der Verkauf von Staatsunternehmen bedeutet, dass Geld in die öffentliche Hand fließt. Darüber hinaus profitieren viele Führungskräfte von der Verlagerung in privatisierte Unternehmen, indem sie ihr Einkommen mit marktgemeinschten Gehältern aufwerten.
Dass Privatisierungen nicht immer zu einem Stellenabbau führen, wird deutlich, wenn man die Abfallwirtschaft berücksichtigt. Grund war ein hoher Anteil gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter mit Tarifverträgen in kommunalen Entsorgungsunternehmen.
Auch nach der Privatisierung gab es keinen ernsthaften Rückgang der Beschäftigung auf breiter Front. “Die Mitarbeiter haben hier ihre eigene Rolle gespielt. Und wenn sie sich als Kollektiv stark organisieren können, dann ist die Abfallentsorgung zumindest in einigen westdeutschen Regionen ein sehr positives Beispiel”, so Sack.
Die Privatisierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbaugesellschaften sieht er jedoch als großen Fehler. “Rückblickend waren das Fehler. Aber es muss gesagt werden, dass es mit anderen Trends einhergeht, nämlich dass nicht genug Wohnungen gebaut wurden.” Zudem stellte die öffentliche Hand keine ausreichenden Subventionen für bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung.
Sack macht lokale und staatliche Regierungsvertreter für die aktuelle Wohnungsnot in deutschen Großstädten und die Explosion der Mieten verantwortlich. “Sie haben es nicht rechtzeitig erkannt und nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen. “Die Privatisierungen im Wohnungssektor hätten einen Anteil am starken Anstieg der Wohnkosten, seien aber “nicht der entscheidende Faktor”, betonte er.